
Wenn Lebensmittel keinen Preis mehr haben
Solidarische Landwirtschaft in Ravensburg
Die Yes! We Can Farm Porträts verfolgen hauptsächlich ein Ziel: jungen Menschen Wege aufzuzeigen, wie sie ohne große Kredite oder anderweitige Risiken ihren Traum vom Leben als Landwirt oder Gärtner verwirklichen können. Als ich im September 2015 Gast beim “Tag der offenen Hoftür” der Solidarischen Landwirtschaft Ravensburg e.V. war, wusste ich danach: mit denen will ich ein Interview machen. Denn was dort innerhalb kürzester Zeit aufgebaut worden ist, ist wirklich ein positives und machbares Vorbild für jene jungen Menschen, die gerne etwas in der Landwirtschaft verändern wollen!
Was ist Solidarische Landwirtschaft?
Die Solidarische Landwirtschaft, kurz Solawi, auch Vertragslandwirtschaft, Gemeinschaftshof, Gemeinsame Landwirtschaft, Freihof, Versorgungsgemeinschaft, Kooperative Landwirtschaft oder im Englischen CSA (Community Supported Agriculture) genannt, ist ein Konzept welches vieles auf den Kopf stellt. Eine Gruppe von Verbrauchern gibt einem Landwirt eine Abnahmegarantie oder stellt ihn durch eine Organisation an. Der Landwirt bekommt durch die Verbrauchergemeinschaft eine im Voraus vereinbarte Summe, die ihm erlaubt kostendeckend zu wirtschaften. Im Gegenzug erhalten die Verbraucher alle produzierten Lebensmittel. Dabei wird nicht für die einzelnen Produkte bezahlt, sondern für die Dienstleistung des Landwirts oder Gärtners.
Welche Vorteile bietet die Solidarische Landwirtschaft?
- Solidarisch – jeder zahlt, was er kann
- Demokratisch und Gemeinschaftlich
- Risikostreuung
- Eine finanzierte Hofnachfolge und Risikoverminderte Gründung
- Mehr Fokus auf den Anbau
- Reduzierter Aufwand für Marketing und Logistik
- Frische Lebensmittel, die keinem Normzwang unterliegen
- Kaum Lebensmittel, die weggeworfen werden müssen
- Ein sicheres Einkommen für die Erzeuger
- Gesunde Lebensmittel für die Abnehmer
- Wissensvermittlung und Transparenz
Neben dem Vorteil, dass sich der Landwirt wieder auf die konkrete Produktion der Lebensmittel konzentrieren kann und sich weniger um Vermarktung oder Logistik kümmern muss, hat die Solidarische Landwirtschaft noch viele weitere Vorteile, je nach Konzept und Rechtsform. Die Mitglieder (Verbraucher) haben einen direkten Kontakt zu den Produzenten und werden oft durch Informationen über den momentanen Ablauf informiert und durch Erntedankfeste und ähnliche Veranstaltungen kann sich ein Gemeinschaftsgefühl bilden. Da der Landwirt schon von Anfang an seine Tätigkeit finanziert hat, ist er unabhängig von Angebot und Nachfrage der Kunden, Schwankungen der Agrarsubventionen oder dem Preis- und Qualitätsdruck von Großhändlern.
Solidarisch: im Preis und in der Verteilung
Doch das, was die Solidarische Landwirtschaft am herausragendsten macht ist, dass es keinen Zwischenhandel und keine Preise mehr für einzelne Produkte gibt. Die vereinbarte monatliche Summe erhält der Produzent direkt, ganz egal was und wie viel er produziert. Alles was produziert wird, geht an die Mitglieder und wird verbraucht.
Eine weitere Besonderheit ist, dass nicht jedes Mitglied den gleichen Beitrag bezahlt. Das benötigte Jahresbudget des Betriebes wird auf einer jährlich stattfindenden Versammlung von den Landwirten bzw. Gärtnern vorgestellt. Danach folgt eine Bieterrunde, in welcher jedes Mitglied die Summe, die es monatlich zu zahlen bereit ist, anonym auf einen Zettel schreibt. Dabei orientieren sich die Mitglieder an dem Richtwert, welcher sich aus dem Jahresbudget errechnet. Ergibt die Summe aller Zettel nach einer Auszählung das benötigte Budget, ist die Runde perfekt gelaufen und jeder zahlt seine angegebene Summe. Theoretisch kann es passieren, dass ein Mitglied 25 € pro Monat und ein anderes 100 € pro Monat zahlt – solidarisch eben. Reicht die Gesamtsumme noch nicht aus, findet eine weitere Runde statt, in der jeder dazu aufgerufen ist, seine Summe ein bisschen zu erhöhen, soweit möglich.
Das hat in diesem ersten Jahr hervorragend geklappt. Nach dem ersten Bieterdurchgang hatten wir schon die Summe, die wir gebraucht haben um dieses Jahr überhaupt anfangen zu können. Das ist eine gute Sache, weil wir von vorneherein die Gewissheit haben, wir bekommen unseren monatlichen Lohn, unsere Ausgaben sind gedeckt, egal wie das Jahr wird. Und gerade im Gründungsjahr ist das für die meisten Gärtnereien oft der Scheiterungsgrund, weil es mit wahnsinnig viel Aufwand verbunden ist: Wo kriegt man die Gerätschaften her, was kosten die, was braucht man tatsächlich, was funktioniert hier in der Region an Kulturen und was nicht.
-David Steyer, Gärtner der Solidarische Landwirtschaft Ravensburg e.V.
Durch die kurzen Wege werden Verpackung und Energie gespart. Allerdings müssen die Verbraucher auch eine gewisse Flexibilität haben und sich angepasst saisonal ernähren, denn im Normalfall gibt es bei solchen Betrieben nur das, was in dieser Saison in Deutschland angebaut werden kann.
Keine Tomaten im Dezember
Doch einige Nachteile hat auch dieses Konzept. Zuersteinmal braucht es eine große Gruppe an Menschen, die bereit sind, sich auf dieses Engagement einzulassen. Denn viele Menschen möchten zu jeder Zeit das essen, worauf sie Lust haben und nicht das, was gerade in der Saison verfügbar ist. Auch das Vertrauen in den Produzenten braucht es, denn gerade junge Landwirte haben oft noch sehr wenig Erfahrung im eigenverantwortlichen Anbau, schon gar nicht für so viele Menschen.
Erfahrungsgemäß ergibt sich bei den Mitgliedern eine jährliche Fluktuation von ca. 10%.
Die Gründe hierfür können vielfältig sein, ob wegen Umzug, Unzufriedenheit, Gruppendynamik, mangelnder Flexibilität und weiterem. Dieser Anteil neuer Mitglieder muss jedes Jahr von Neuem gefunden werden. Diese Aufgabe und viele andere, wie zum Beispiel die Lebensmittel an die Verteilstellen zu bringen oder in besonders arbeitsintensiven Zeiten mitzuhelfen, fällt in den Aufgabenbereich der ehrenamtlichen Helfer, ohne die wohl kaum eine SoLawi auskommt.
Mittlerweile gibt es in Deutschland rund 100 Betriebe, die nach diesem Konzept arbeiten. Nach Schätzungen des “Netzwerk Solidarische Landwirtschaft” sind zwei Drittel dieser Betriebe Gemüsegärtnereien. Zur Erfolgsquote des Konzeptes der Solidarischen Landwirtschaft gibt es noch kaum Daten für Deutschland, da die meisten dieser Betriebe das Konzept erst in den letzten Jahren aufgenommen haben.
Die Solidarische Landwirtschaft in Ravensburg
In Ravensburg entstand der Wunsch nach einer Solidarischen Landwirtschaft zuerst durch Sonja Hummel. Aus der Region um Biberach kommend, studierte sie in Göttingen Ökosystemmanagement B.Sc. und vertritt die Meinung, dass es das Potenzial von mindestens einer Solidarischen Landwirtschaft pro Landkreis gibt. Sie veranstalte Informationsabende, wodurch sich mit der Zeit eine Interessensgruppe bildete. Im April 2014 gründete diese Interessensgruppe den Verein “Solidarische Landwirtschaft Ravensburg e.V.”. Um für den Start weitere Interessenten zu gewinnen, zeigten sie unter anderem den Film “Die Strategie der Krummen Gurke”.
Im Vergleich zu den meisten Unternehmensgründungen, lief bei der Solidarischen Landwirtschaft in Ravensburg vieles unüblich ab, so gab es hier zuerst die Kunden und dann die Produzenten. Denn schnell fanden sich immer mehr Menschen, die bereit waren, mitzumachen. Das Land fand sich durch Familie Stiefel, die sich frühzeitig der Interessensgruppe angeschlossen hatte. Diese hat in dem Ort Hübscher, 6 Kilometer von der Ravensburger Stadtmitte entfernt, einen Einsiedlerhof, auf welchem bis vor einigen Jahren Milchvieh gehalten wurde. Familie Stiefel wollte nach Aufgabe des Milchviehbetriebes das Land nicht ungenutzt lassen und so wird ein Teil schon seit einiger Zeit als Gemeinschaftsgarten des Vereins wirundjetzt e.V. genutzt.
Familie Stiefel bot dem Verein ein Stück ihres Landes zur Pacht an. Was es jedoch bedeutet, eine Gärtnerei zu betreiben, deren knapp 100 Mitglieder auch regelmäßig vorbeischauen, das war keinem klar. Denn trotz der Stadtnähe war der Hof immer ein ruhiger Ort gewesen, eine Ansammlung weniger Häuser.

Erst die Kunden, dann die Gärtner
Schwieriger als die Suche eines geeigneten Stückchens Land gestaltete sich jedoch die Suche nach einem Gärtner. Mit vielen wurden Gespräche geführt, jedoch kamen keine Verträge zustande – die Gärtner sind vom Verein angestellt, wodurch der Verein ihr Arbeitsgeber ist. Manch einer wollte vor Ort wohnen, was dort nicht möglich ist, bei anderen stellte sich bei einer Ackerbegehung schnell heraus, dass sie keine Vorstellung einer realistischen Umsetzung eines solchen Projektes hatten.
Nach einiger Zeit fanden sich dann auch zwei Gärtner, sowie die Hofbesitzerin Frau Stiefel. Nach der ersten erfolgreichen Bieterrunde im Januar 2015 wurde die Anbauplanung erstellt und Anfang März ging es los. Allerdings kündigte einer der Gärtner zu diesem Zeitpunkt. Mit vereinten Kräften und viel Anstrengung schafften sie es dennoch, das Ganze zu starten. Im April fand sich ein weiterer Gärtner, der nun 3 Tage pro Woche mitarbeitet und im Juni wurde eine zweite halbe Stelle besetzt.
Wie ist die Solidarische Landwirtschaft Ravensburg e.V. aufgebaut?
Eine Besonderheit der SoLawi in Ravensburg ist, dass sie als neuer Betrieb gegründet wurde und keine Ware verkauft. Die Gärtner sind beim Verein angestellt und haben in ihrer Arbeit einen möglichst großen Freiraum, sind dabei aber natürlich dem Zweck des Vereins „der Erprobung und Umsetzung von ökologischer, klimagerechter und sozialer Landbewirtschaftung, sowie die Vermittlung von Kenntnissen darüber“ verpflichtet. Darüberhinaus sind sie, zumindest moralisch, den gemüsebeziehenden Mitgliedern in der Produktion des Gemüses verpflichtet. Sie tragen damit eine ähnliche Verantwortung wie selbstständig agierende Unternehmer.
140 Mitglieder hat der Verein , davon knapp 90 gemüsebeziehende Mitglieder (Stand Februar 2016). Der Umsatz des Vereins generiert sich aus verschiedenen Quellen, hauptsächlich aber aus dem Gemüsebeitrag (ein ganzer Gemüseanteil mit einem Richtwert von 100€ pro Monat entspricht ungefähr 2 Personen), welcher die Betriebskosten und eine gewisse Summe zur Darlehenstilgung und für Investitionen enthält, dem Beitrag für die Mitgliedschaft im Verein (30 € Richtwert, jährlich pro Mitglied) sowie kleineren Beträgen wie die Ausgleichszahlungen (ca. 600 € jährlich).
Der größte Kostenpunkt sind die Löhne (ca. 50.000 € pro Jahr), danach folgen Betriebsmittel (ca. 20.000 € pro Jahr) für Werkzeuge, Jungpflanzen, Treibstoff und weitere laufende Kosten für Wasser und Strom. Die Gärtner sind vom Verein sozialversicherungspflichtig in Teilzeit angestellt und werden alle über Tarif bezahlt.
Beim Verein sind vier Gärtner angestellt, einer zu 50% und drei zu 30%. Das nötige Arbeitspensum muss von diesen Gärtnern zu leisten sein, sagt David Steyer. Eine freiwillige Hilfe der Mitglieder ist ein Bonus, aber kein muss. Er sieht dabei eine Problematik bei einigen anderen Betrieben. Diese setzen von vorneherein auf die Mitarbeit der Vereinsmitglieder, was zu Reibungen führen kann
Das bezieht sich jedoch vor allem auf die gärtnerische Tätigkeit auf dem Acker. Für Buchhaltung und Finanzkonzepte sind nicht die Gärtner, sondern der Vorstand zuständig. Auch die Organisation von Versammlungen und Festen, sowie auch Bereiche die außerhalb des besprochenenen Aufgabensbereiches fallen, wie zum Beispiel die Kräuterbeete oder die Anlegung eines Beeren-Gartens, liegen in den Händen der Mitglieder.
Bio ohne Siegel
David Steyer hat eine Ausbildung in einem Demeter Betrieb gemacht, auch die anderen Mit-Gärtner haben größtenteils mehrere Jahre in Demeter Betrieben gearbeitet. Für alle war es selbstverständlich, dass nur ein ökologischer Landbau in Frage kommt. Sie richten sich hierbei grob an dem Richtlinien des Demeter Verbandes aus, brauchen dafür aber kein Siegel, denn sie “verkaufen” keine Lebensmittel und die Abnehmer können sich vor Ort immer wieder ein Bild davon machen, wie der Anbau aussieht. Eine Mitgliedschaft in einem Verband würde da nur weitere Kosten generieren und können ein Vertrauen durch echte Transparenz nie ersetzen.

Solidarisch ist nicht einfach
Einfach ist das jedoch nicht. Denn eine engere Verbindung zwischen Erzeuger und Verbraucher ergibt sich nicht nebenbei. Viel Arbeit machen die Infoveranstaltungen und E-Mails mit Fragen wie z.B. warum die Kartoffeln mehlig sind oder warum da so viel Unkraut auf dem Acker steht. Als sehr effektiv haben sich dabei die Ackerführungen gezeigt und auch der regelmäßige Newsletter kommt gut an. Diese Kommunikation teilen die Gärtner unter sich auf, so dass es machbar ist.
Es lohnt sich, denn die Rückmeldungen sind fast immer positiv. Nadine Wahl war ein Jahr Gemüse beziehendes Mitglied, bis sie Ende 2015 wegen eines Umzuges ihren Anteil weitergab. Abgesehen von den Schwierigkeiten an den Verteilstellen, bei denen sich die Mitglieder ihren Anteil selbst abwiegen wodurch es immer wieder zu Unstimmigkeiten bei den Mengenkam, ist sie sehr zufrieden. Die Wochen in denen alles so lief wie es sollte, waren eher selten. Es sind eben die menschlichen Stellen, die öfter zu Reibereien führen, aber gerade das macht auch eine Gemeinschaft aus. Alles in allem sagt sie, dass es super war und dass sie sich an ihrem neuen Wohnort wieder eine Solidarische Landwirtschaft suchen wird.
Ein schwieriger Start
David Steyer selbst sieht es etwas differenzierter. Gerade am Anfang war es schwierig, die Mitglieder zufrieden zu stellen. Als junger Gärtner auf einem neuen Stück Land, welches bisher konventionell als Maisacker verwendet wurde, welcher ganz andere Bedürfnisse an den Boden hat als Feingemüse, muss man sich zuersteinmal mit dem Boden vertraut machen. Dabei bleibt einem oft nichts anderes übrig, als auszuprobieren.
Momentan haben sie zwei Hektar Fläche, davon wird aber jedes Jahr nur einer bewirtschaftet, auf dem anderen soll eine Gründüngung wachsen. Gemeinsam mit den Mitgliedern haben sie zwei Gewächshäuser mit je 200m² gebaut, dies erlaubt ihnen auch den Anbau von wärmebedürftigen Pflanzen wie Tomaten, Gurken, Paprika und Auberginen.
- Vielfältiges wächst im Gewächshaus
- Paprika, Bohnen (Bild1) und Gurken
- Sowie Auberginen und Tomaten
Sie brachten auf der Fläche eine gute Menge an Kompost auf und dachten, dass dies den Boden gut mit organischem Dünger versorgen würde. Dass im Boden die zur Verarbeitung des Komposts notwendigen Mikroorganismen nur gering vorhanden waren, zeigte sich erst danach. So blieb ihnen erst einmal nichts anderes übrig, als mit dem relativ schnell verfügbaren biologischem Mittel “Vinasse” (einem Nebenprodukt aus der Zückerrübenverarbeitung) zu düngen, damit die Pflanzen genügend Nährstoffe zur Verfügung hatten. Restbestände dieser Vinasse konnten sie sich von einem befreundeten Biohof besorgen.
Der Boden hatte anfangs eine solch schwierige Struktur, dass sie selbst bei einer Pflanzung von Hand Schwierigkeiten hatten, in den Boden zu kommen. Mit der regelmäßigen Bearbeitung konnten sie verschlämmte, harte und klumpige Strukturen langsam auflösen.
Böses Wetter, gutes Wetter
Ein Anbauplan kann noch so schön erstellt werden, es bleibt nur ein Plan. Und wie sehr gerade der Freilandanbau von Gemüse vom Wetter abhängig ist, merkten die Gärtner schnell. Die ersten Kohlsätze “ertranken” ihnen im sehr nassen ersten Frühjahr und auch einige andere Kulturen wuchsen nicht wie erwünscht. Das führte gerade anfangs zu viel Frustration bei den Mitgliedern.
Da war der Frust bei den Mitgliedern relativ hoch, seit Januar haben sie gezahlt und Ende Mai das erste Mal Gemüse bekommen. Ab dann ging es aber relativ zackig, dass sehr viel mehr Gemüse gekommen ist, das ist dann alles gut angelaufen. Besonders jetzt gerade in der Gewächshaussaison, das war wirklich phänomenal. Gut, ich glaube da können wir wenig meckern. Wir haben unsere Erfahrungen gemacht, ein bisschen mehr Auberginen müssen wir anbauen, aber die Tomatenmenge war optimal, das waren über 22 kg pro Anteil und das war die kalkulierte Größe. Und das haben wir gut erreicht oder auch überschritten und teilweise bekamen wir jetzt die Rückmeldung, dass es zu viel Gemüse ist in der Hauptsaison. Das werden wir gucken, wie wir das nächstes Jahr strecken können.
-David Steyer, Gärtner der Solidarische Landwirtschaft Ravensburg e.V.
Für die Solidarische Landwirtschaft in Ravensburg ist eine klare Prämisse; lieber etwas mehr anbauen und dann verschenken, als zu wenig zu haben. Durch einen Fragebogen haben sie hierzu ein Meinungsbild eingeholt und den Anbauplan für das nächste Jahr entsprechend angepasst.
Wir schauen, dass wir jede Woche Salate ausliefern, ganzjährig. Jetzt wenn die Freilandsommersalate ausgehen, geht es mit Herbstsalaten, Zuckerhut usw. weiter. Prinzipiell ein Grundnahrungsmittel, ob jetzt Kartoffeln oder ein anderes Knollengemüse. Und im Sommer gibt es eine gewisse Schwemme, weil da alles da ist und jetzt zum Herbst hin geht es sehr schnell über in Kürbisse und Rote Beete, sodass man die Ernährung anpassen muss. Das ist aber durchkonzeptioniert, wir bauen alles an was an Grundgemüse möglich ist. Wir haben keine beheizbaren Gewächshäuser, das heißt , wenn die Tomaten und Gurken raus sind, geht es weiter mit Feldsalat, also relativ klassisch.
-David Steyer, Gärtner der Solidarische Landwirtschaft Ravensburg e.V.
Ein Blick auf die Mitglieder
Die Mitglieder sind bunt gemischt. Viele hatten zuvor wenig oder gar keinen Kontakt mit dem biologischen Anbau. Für die Meisten ist es eine Herausforderung, die manchmal großen Mengen an saisonalem Gemüse zu verarbeiten oder für den Winter haltbar zu machen. Die Motivation ist es, näher an den Lebensmitteln und Erzeugern zu sein.
Der Alltag eines Gärtners
Auch wenn die Gärtner sehr frei in ihrer Arbeitswahl sind und das kleine Team viel Flexibilität erlaubt, sind die Arbeitstage klar geplant.
In der Hauptsaison sind die Wochen klar strukturiert: Montag ist Tomaten- und Auberginenernte, sowie Wickeln und Geizen von Tomaten und Gurken. Dienstags ist Liefertag, da wird alles geerntet, was nicht schon im Lager ist und dann an die Verteilstellen gebracht. Mittwochs ist der Schwerpunkt auf Pflege und Pflanzung gelegt. Donnerstags ist das Programm ähnlich wie Montags und am Freitag ist wieder Liefertag. Arbeitsintensive Kulturen wie Gurken und Zucchini werden 3 – 6 mal in der Woche geerntet, je nach Wetter. In Phasen, in denen es viel zu ernten gibt und gleichzeitig Neupflanzungen und Pflege anfallen, da können die Arbeitstage lang werden. In ganz heißen Zeiten muss täglich gegossen werden, auch am Wochenende. Zu anderen Zeiten können sie sich die Arbeitszeit freier einteilen, zumeist arbeiten sie vormittags, da zwei der Gärtner sich am Nachmittag um ihre Familie kümmern.
Die Mitarbeit von Mitgliedern ist erwünscht und gerne gesehen, aber für einen geregelten Betriebsablauf nicht nötig. In den meisten Fällen laden die Gärtner zu “Mitmach-Aktionen” ein, wenn es gerade besonders viel Unkraut gibt oder ähnliches. Über die Saison hat das Engagement der Mitglieder in diesem Bereich zwar etwas nachgelassen, aber einige kommen dafür regelmäßig gerne vorbei und machen ihr “Fitnessprogramm” auf dem Acker.
- Wintergemüse wie Rotkohl
- Kräuter, u.a. Schnittlauch & Petersilie
- Und im Sommer jede Menge Zucchini
Vom Punk zum Gärtner
David Steyer betont, dass die wichtigste Komponente in jedem Betrieb, ob konventionell, biologisch oder solidarisch, die Menschen sind. Und gerade in einem so kleinen Betrieb ist es wichtig, dass das Team harmonisch miteinander arbeiten kann. Da Yes! We Can Farm sich gerade an junge Menschen richtet die in der Landwirtschaft anfangen möchten, interessieren wir uns auch besonders für seinen persönlichen Werdegang und seine Motivation.
In seinen jugendlichen Jahren waren er und seine damalige Freundin (heutige Frau) Punks. Sie lebten im Jetzt und die Zukunft war nicht groß Thema, sie wollten reisen, die Welt sehen und sie verändern – oder auch nicht. Sie waren mit vielem in der Welt unzufrieden, wussten aber nicht, in welchem Rahmen sie konkret etwas verändern könnten. Sie waren jung. Als seine Frau während des Abiturs, er war zwanzig, schwanger wurde, veränderte sich diese Sicht. Jetzt mussten sie auch an die Zukunft denken, denn sie wollten ja eine gute und schöne Welt für ihre Kinder. Sie wollten ihre Kinder in Harmonie und Frieden aufwachsen lassen und gleichzeitig an den Veränderungen arbeiten. Sie suchten einen Hof, auf welchem er eine Ausbildung zum Gärtner machte und sie als junge Familie leben konnten. Der Selbstversorgergedanke war für ihn eine treibende Kraft, die Familie mit selbst angebauten Lebensmitteln versorgen zu können.
Er machte zwei Jahre Ausbildung auf diesem Hof, in Kooperation mit der Landbauschule Bodensee (speziell für Lehrlinge in Demeter Betrieben) und verbrachte dann knapp zwei Gesellenjahre in der Gärtnerei des Hofguts Rengoldshausen.
Die Ausbildung hat ihm viel gegeben, er lernte in einem kleinen und einem großen Betrieb was es braucht, um Gemüse anzubauen und welche Fertigkeiten und Erfahrungen vonnöten sind. Gänzlich zufrieden war er nicht, aber das sei seiner Meinung nach wohl kaum ein Auszubildender. Die konkrete Arbeit des Gemüsebaus schon einmal getan zu haben sieht er als zwingend notwendig an, wenn man eine SoLawi gründen möchte. Eine Ausbildung sei dazu nicht nötig, mindestens aber mehrere Jahre Berufserfahrung in einer Gemüsegärtnerei.
Seit 2014 ist er Hausmann. Durch einen Freund kam er zu einer Infoveranstaltung der Initiativgruppe der Solidarischen Landwirtschaft Ravensburg. Die Konzepte der anderen anwesenden Gärtner überzeugten ihn nicht, woraufhin er sich entschloss, sich auch anzubieten. Daraus ergab sich dann eine 50% Stelle. Seine reelle Stundenzahl weicht davon jedoch, wie zu erwarten, ab. Da auch viele Tätigkeiten außerhalb des Ackers in seinen Verantwortungsbereich fallen, insbesondere die Anbauplanung, die Erstellung des Etatplans und weitere betriebsleiterische Tätigkeiten, arbeitet er eher 60-70%. Für ihn ist das in Ordnung, er gibt aber auch zu, dass man als Gärtner einfach Idealist sein muss. Die Überstunden bauen die GärtnerInnen in den Wintermonaten ab.

Die persönliche Motivation und die Ziele, die er sich gesetzt hatte halfen ihm auch durch die Zeiten mit starkem Druck. Als zeitgleich der zweite Gründergärtner kündigte, sich dadurch die Arbeitsbelastung verdoppelte und der Acker nicht die erwarteten und eingeplanten Erträge brachte, und dadurch die Unzufriedenheit der Mitglieder stieg, war die Belastung für ihn und seine Familie schon enorm hoch. Gemüsegärtner zu sein ist dennoch sein Traumjob und mit einer 50% Stelle erlaubt diese ihm auch noch, sich mit vielem anderen zu beschäftigen und Zeit mit seiner Familie zu verbringen. So macht er nebenbei auch noch eine Ausbildung zum Gartentherapeuten und möchte diese Tätigkeit auf Dauer auch in die Arbeit bei der Solidarischen Landwirtschaft mit einfließen lassen.
Auf die Frage, was er das Schönste an der Arbeit findet hat er eine schnelle Antwort: das Wetter!
Das Wesentlichste an der Arbeit ist tatsächlich das Wetter. Ob es nun irre heiß ist und man schwitzend über den Acker rennt, oder ob es kalt ist und man sich etwas anziehen muss, das sind halt Sinneseindrücke und die tragen das Aroma vom Acker direkt an einen dran und machen einem auch die Arbeit sehr bewusst. Wenn du frierst, während du Salat schneidest oder wenn du schwitzt während du Zucchini durch die Gegend schiebst, da weißt du auf jeden Fall was du machst und auch wofür du das machst.
-David Steyer, Gärtner der Solidarische Landwirtschaft Ravensburg e.V.
Was sie heute bei der Gründung einer Solidarischen Landwirtschaft anders machen würden
Als Grundvoraussetzung sieht David Steyer zwei Dinge: enthusiastische Mitglieder und fähige Gärtner.
Er empfiehlt, bei der Neugründung einer Gärtnerei im ersten Jahr nicht zu viel Gemüse anzubauen, sondern die benötigte Infrastruktur herzustellen. Die Bewässerung zu installieren, das Kühlhaus zu bauen, das Gewächshaus zu errichten und die Gerätschaften zu besorgen braucht viel Zeit, die gerade in der ersten Saison fehlt.
Solidarische Landwirtschaft nimmt zwar den Preis von den einzelnen Lebensmitteln, es geht aber dennoch um Produktion. Davon kann in vielfältiger Weise profitiert werden. Die Gärtner werden fairer bezahlt und können ohne Druck oder Preisdiktate anbauen. Die Mitglieder bekommen lokale, gesunde und frische Lebensmittel.
Erst die Quantität, dann die Experimente
Dennoch ist jede Gärtnerei und jede Landwirtschaft dazu da, etwas zu produzieren. Auch die Mitglieder einer Solidarischen Landwirtschaft erwarten einen Ertrag. Daher gilt es, wirklich geeignete Gärtner zu finden. David Steyers Erfahrung ist hierbei sehr durchmischt. Mittlerweile hat sich ein gutes Team gefunden, worüber er sehr glücklich ist. Aber viele Bewerber möchten in einem unkonventionellen Betrieb, wie eine Solidarische Landwirtschaft es ist, arbeiten, weil sie die üblichen Methoden der konventionellen Landwirtschaft anzweifeln. Doch zuallererst steht nun einmal die Produktion, wofür die Mitglieder Geld, Zeit und Wertschätzung einbringen. Die Gärtner sind hierbei jedoch nicht vornehmlich dem Geld, sondern den Menschen verpflichtet. In einem späteren Stadium, wenn diese Versorgung gesichert ist, bietet ein solidarisches Konzept einen guten Raum für Versuche, die auch sehr wichtig sind, wie er betont. Aber damit ein guter Start gelingen kann, muss zuersteinmal die Quantität produziert werden, sonst springen die Mitglieder frustriert wieder ab.

In der Regel scheitert es aber an den Gärtnern. Weil wenn man sich nicht ein klares Konzept überlegt hat, was möchte man tatsächlich rausholen und das Konzept soweit auf die Region und die Bevölkerung abgestimmt ist, die letztendlich diese Produkte beziehen soll – dann kann es sehr schwierig werden. Wenn man im ersten Jahr gerne Schnitzkürbisse, Steckrüben und Wurzelpetersilie und viele tolle Dinge mit reinnehmen will, die aber unter Umständen viel Arbeit, aber nicht wirklich satt machen, oder es nicht in dem Verhältnis steht wie die Mitglieder das Gefühl haben, dass es ihr Geld wert ist. Weil das ein Gedanke ist, den kriegt man nicht raus, ohne das werten zu wollen – aber für Oberschwaben ist es, glaube ich, sehr wichtig auf Quantität zu kommen, insbesondere in den ersten Jahren. Und was sich dann an Qualität oder an Vielfalt einschleichen kann, das dürfen ein Stück weit die Mitglieder mitentscheiden. Aber wenn wir hier angefangen hätten mit besonders abgefahrenen oder seltenen Kulturen zu arbeiten, und dann auch mit wenig Ertrag, weil das auch Dinge sind, die man nicht zwangsläufig in der Ausbildung lernt, wie man die anbaut und welche Schwierigkeiten es in der Kulturführung gibt, kann man auch als SoLawi-Gärtner seinen Job verlieren oder die Mitglieder laufen einem davon.
-David Steyer, Gärtner der Solidarische Landwirtschaft Ravensburg e.V.
Ohne die Kooperation mit anderen lokalen Betrieben, ob konventionell oder biologisch, wäre der Start nicht so gut gelungen. Manche haben sie von Anfang an unterstützt, ob durch eine Leihgabe von großen Maschinen wie Traktoren oder Kartoffelrodern, Tipps bei Problemen, Transportfahrten oder der Hilfe mit Restbeständen von Düngemitteln oder Grünkompost. Die meisten Kollegen wissen sehr gut, welche Schwierigkeiten bei einer Gründung auf einen zukommen können und helfen gerne. Das Bild der faulen Gärtner, die keinen Bock auf eine “richtige Erwerbstätigkeit” haben, konnten sie mit der Zeit gut aus dem Weg räumen, auch aufgrund ihres klaren Verzichtes auf Experimente wie Permakultur. Da die Gärtner auch ihre Ausbildungen in der Region gemacht hatten, konnten sie auf viele Kontakte aus dieser Zeit zurückgreifen und so auch ohne einen Anbauverband von dieser Unterstützung profitieren.
Den Gärtnern das Gärtnern
Die Aufgaben klar zu verteilen und die einzelnen Menschen nicht zu überlasten, ist auch ein wichtiger Aspekt. Damit die Gärtner gärtnern können, sollten sich andere um rechtliche und buchhalterische Tätigkeiten kümmern. Dabei konnte die Gruppe viel bei den Fortbildungen und Veranstaltungen des Dachverbandes “Solidarische Landwirtschaft e.V.” lernen. Dieser bietet auch diverse Publikationen sowie Beratung für neue Initiativen an.
Auch das Marketing ist nicht zu unterschätzen. Hier profitierten sie zum einen von dem momentanen Trend – viele der jetzigen Mitglieder wurden über eine im ARD ausgestrahlte Fernsehsendung über Solidarische Landwirtschaft überhaupt auf das Konzept aufmerksam, zum anderen auch von der klassischen Werbung. Jeder Zeitungsartikel erreicht viele tausende Menschen. Die Kontakte zur Presse zu pflegen ist ein Grundpfeiler des Marketings für lokale Produkte und Initiativen.
Zukunftsvisionen
Für das erste Jahr war der Fokus ganz klar auf der Gemüseerzeugung. Jegliche weiteren Projekte wurden ehrenamtlich von den Mitgliedern der Arbeitsgemeinschaften durchgeführt, wie das große Kräuterbeet oder die Aktion “Deutsch auf dem Acker”, bei der Asylsuchende über den Acker geführt wurden um dabei deutsche Begriffe zu lernen.

Auch im zweiten Jahr wird das Hauptaugenmerk auf der kontinuierlichen Produktion des Gemüses stehen, zusätzlich zu der Optimierung und Anpassung der verschiedenen Abläufe. Ideen haben die Mitglieder und Gärtner des Vereins dennoch viele – von einer weiteren Nutzung der Fläche durch andere Projekte, wie soziale Nachmittagsbetreuung bis zum Anlegen eines Beeren-Gartens. Es muss jedoch alles langsam angegangen werden, damit jeder auch genügend Zeit hat, sich an diese Veränderungen zu gewöhnen.
Persönlich hat David Steyer noch weitere Wünsche:
An sich fände ich es wahnsinnig schön, wenn hier Wohnraum wäre. Dass nicht drei Gärtner insgesamt 200 km am Tag fahren müssten, um hierher zu fahren und wieder nach Hause. Und dass das Ganze die Grundernährung weiter abdeckt, gerne auch mit Tieren, Hühnern, Kühen, Getreide, also das ist so ein weiter Blick in die Zukunft, aber dahin möchte ich irgendwann, für mich persönlich und ob ich das mit der SolaWi mache oder ohne, weiß ich nicht, aber ich würde es mir für die SolaWi wünschen.
-David Steyer, Gärtner der Solidarische Landwirtschaft Ravensburg e.V.
Unser Fazit
Mit diesem Porträt haben wir einen Betrieb besucht, der genau das macht, was wir zeigen möchten: junge Menschen, die in die Landwirtschaft einsteigen, gründen und ganz neue Wege gehen! Im Vergleich zum Yes! We Can Farm Porträt über den Demeter Betrieb “Haettelihof” in Konstanz ist die Solidarische Landwirtschaft in Ravensburg etwas ganz anderes. Doch die Motivation bleibt gleich: die Produktion der Lebensmittel in die eigene Hand zu nehmen und den Kontakt zwischen Verbrauchern und Erzeugern enger zu gestalten.
Ja, wir können nachhaltige Landwirtschaft betreiben, die die Menschen ernährt und gute Löhne für die Erzeuger zahlt – unabhängig von Geldern der EU. Die Solidarische Landwirtschaft in Ravensburg ist ein Beispiel dafür. Im Gespräch mit David Steyer und im gemütlichen Beisammensein mit den anderen Gärtnern habe ich einen Einblick bekommen. Die Transparenz und Offenheit hat mich beeindruckt. Auch die Zeit, die sich die Beteiligten für uns genommen haben, ist in solchen Betrieben nicht selbstverständlich.
Der Weg der Gründung war und ist nicht einfach. Ein solches Unternehmen verlangt von allen Beteiligten, Gärtnern wie Mitgliedern, einen hohen Idealismus und eine starke Motivation. Da ist ein Einkauf im Supermarkt einfacher und bequemer. Doch diese Menschen in Oberschwaben haben sich dafür entschieden, weil ihnen der Mehrwert – höhere Löhne für Gärtner, direkte Wege ohne Verpackung und Zwischenhändler, dadurch frischere Lebensmittel und das Wissen darüber, wie die Lebensmittel angebaut werden, – das wert ist. Wir können nur sagen: weiter so!
PS: in der Region Oberschwaben / Bodensee gibt es aktuell weitere SoLawi-Initiativen in Bad Waldsee, Friedrichshafen / Raderach und Salem sowie das nach einem ähnlichen Konzept und Permakultur-Prinzipien arbeitende Solidarische GemüseHaus in Rot an der Zell. SoLawis deutschlandweit finden sich beim Netzwerk Solidarische Landwirtschaft.
Yes! We Can Farm wird als Projekt nicht mehr weiter geführt. Sie finden meine Dienstleistungen jetzt unter Grünes Wachstum.
