2009 setzte die EU die sogenannte „Gurkenverordnung“ außer Kraft*(1), welche den Krümmungsgrad von Gurken für den Handel bestimmte. Nicht jede Gurke wächst gerade, krumme Gurken gibt es dennoch nicht im Handel zu kaufen. Da stellt sich die Frage, was mit den rebellischen Gurken, die sich der geraden Wuchsform verweigern, wohl passiert? Wie so viele genießbare Lebensmittel, die aus rein optischen Gründen aussortiert werden, landen sie oft auf dem Kompost.
Um sich die Dimensionen der weggeworfen, genießbaren Lebensmittel einmal vor Augen zu führen und die Frage zu beantworten, warum sich das Unternehmen QUERFELD dem Verkauf dieses rebellisch-krummen Gemüses angenommen hat, hier einige Zahlen:

In Wien wird täglich jene Menge an Brot als Retourware vernichtet, mit der die zweitgrößte Stadt Österreichs, das ist Graz, versorgt werden kann. (Aus dem Film „We feed the World“ von Erwin Wagenhofer)
In der Europäischen Union werden jedes Jahr pro Person durchschnittlich 179 Kilogramm Lebensmittel weggeworfen. Das macht insgesamt zirka 89 Millionen Tonnen Abfall pro Jahr. Gemäß einer von der EU finanzierten Untersuchung “Preparatory study on food waste across EU 27” (6,2 MB PDF) gehen 42 Prozent aller weggeworfenen Lebensmittel auf das Konto der privaten Haushalte. 39 Prozent landen bei den Herstellern im Müll, 14 Prozent in der Gastronomie und fünf Prozent bei den Einzelhändlern.*(2)
Da es sich um genießbare (!) Lebensmittel handelt, ist dieser “Müll” vermeidbar. Vermeiden können wir ihn nicht nur, indem wir selbst, bevor wir einkaufen gehen, einen Blick in den Kühlschrank werfen. Schon lange bevor wir in die Versuchung kommen, den schrumpeligen Abfall zu entsorgen, sind bereits viele Lebensmittel aussortiert worden.
Die Gründe dafür sind vielfältig. Yes! We Can Farm beschäftigt sich mit Landwirtschaft, weswegen wir zunächst einen Blick auf die Stationen – vom Anbau bis zum Endkunden – werfen, an welchen Gemüse weggeworfen wird.
Ein DEMETER Landwirt baut Karotten an: Diese verkauft er sowohl über eine Grüne Kiste, als auch über einen Hofladen und den Bio-Großhandel. Bei der Ernte lässt er einen Teil der Karotten direkt auf dem Feld liegen. Warum? Der Grund ist recht einfach: Weil er keine oder ungenügend Abnehmer und auch keine Verarbeitungsmöglichkeit für Karotten hat, die zu groß, zu klein, zu krumm oder zu knollig gewachsen sind. Auch gebrochenes Gemüse, mit Schalenfehlern, Verformungen, Einschnitten, aufgeplatzter Schale und unkonformem Wachstum (mehrbeinige Karotten) finden keine Abnehmer. Für den Bio-Großhandel muss die Ware perfekt sein, schließlich zahlt der Endkunde knapp 3 Euro pro Kilogramm für seine Karotten in DEMETER Qualität und möchte mit möglichst gleichmäßiger Ware beliefert werden. Er ist offenbar nicht bereit, für diesen hohen Preis mehrbeinige Karotten geliefert zu bekommen. Aber auch der Kunde im Discounter möchte schöne, gerade und mittelgroße Karotten kaufen. Was wird also aus den anderen, unperfekten Karotten? Sie werden, wie erwähnt, auf dem Feld liegen gelassen oder zu Tierfutter verarbeitet.

Doch die Verschwendung hat hier gerade erst begonnen: Die schönen Karotten werden vom Handel angenommen und nun transportiert. Manchmal beliefert der Landwirt direkt den Großhandel. Kommt diese (meist schnell verderbliche) Ware aber von weiter her, dann durchläuft sie viele weitere Stationen. Ein Extrembeispiel dafür sind Bananen: Der Landwirt baut die Bananen an und liefert sie an die lokale Kooperative, diese liefert an den Exporteur. Der verkauft an den Importeur, welcher an den „Groß-“Großhandel liefert. Dieser wiederum gibt die Bananen an den Großhandel, von wo aus sie an die Einzelhändler weiter verteilt werden.
Hier eine Webseite die verdeutlicht, welche Mengen beim Verpacken und durch Transportschäden aussortiert werden: Bananen von der Plantage bis ins Regal des Supermarktes
Die Reifung der Bananen ist gut geplant. Der Absatz jedoch ist kaum zu planen, weswegen nach der Devise „Lieber zu viel als zu wenig“ gehandelt wird. Denn natürlich möchte der Kunde zu jedem Zeitpunkt Bananen im Supermarkt kaufen können, weswegen gewisse Übermengen vom Großhandel mit in den Preis einkalkuliert werden, ganz egal ob Bio oder konventionell. Spätestens beim „Groß-“Großhandel gibt es also Übermengen. Riesige Übermengen – oft mehrere Paletten am Tag, nur bei kleinen Großhändlern!
Zu guter Letzt wird weiteres Gemüse und Obst im Discounter, Supermarkt und Bio-Laden, sprich Einzelhandel, weggeworfen. Meist bevor es nicht mehr genießbar wäre. Der Grund dafür ist, dass wenn ich als Kunde die Wahl zwischen einem Salatkopf, der frisch und knackig aussieht und einem, der schon ein bisschen lätschig ist, habe, ich bei gleichem Preis wohl immer den frischeren wähle. Gleiches gilt bei den meisten Menschen auch für krumme Gurken, mehrbeinige Karotten und geplatzten Kohlrabi. Folglich landen viele gute Lebensmittel im Müll. Und das nur, weil wir alles in perfekter, immer gleicher Form und zu jeder Zeit kaufen wollen!
Querfeld, ein Unternehmen mit Standorten in Berlin und München, setzt genau hier an. Das Unternehmen verbindet Erzeuger, die nicht wissen, wer ihnen das „krumme“ Obst und Gemüse abnehmen soll, mit Verbrauchern, die diese optischen Makel nicht stören, dafür aber günstiger und mit gutem Gewissen Obst und Gemüse in Bio-Qualität beziehen können. Besonders beliebt sind die „Krummen“ bei Kantinen, Kindergärten und ähnlichen Großverbrauchern.
Der Bestellablauf ist einfach und so gestaltet, dass weiterer Gemüseabfall vermieden wird:
Die Kunden werden zur Zeit (noch) ein Mal pro Woche über das aktuelle Angebot informiert. Per Telefon oder E-Mail geben sie ihre Bestellung auf, woraufhin bis zu zwei Mal pro Woche die gesammelten Bestellungen ausgefahren werden. Dabei wird nur die bestellte Ware von den Landwirten an Querfeld geliefert. Das Unternehmen fungiert dabei vielmehr als Logistiker und Vermarkter, als Händler.
Die Ware kommt bevorzugt von regionalen Erzeugern, aber auch aus ganz Deutschland und anderen Ländern Europas, da viele Landwirte auf der Suche nach Abnehmern für die „Individuellen“ sind. Ein kleines Manko gibt es zur Zeit jedoch noch: Ausgeliefert wird bisher nur in Berlin und München. Das soll sich bald ändern: Die Macher von Querfeld planen eine Online-Plattform, die es den Erzeugern erlaubt, in direkten Kontakt mit den (Groß-)Verbrauchern zu kommen, welche somit auch die Möglichkeit haben, regionale Ware zu beziehen.

Entstanden ist Querfeld aus einer Diplomarbeit dreier Designer (ansehen lohnt sich!), in welcher sie unperfektes Obst und Gemüse in Szene setzten. Die erstellten Bilder erweckten große Aufmerksamkeit. Bald entwickelte sich daraus eine Geschäftsidee. Die Designer nannten die Kampagne zunächst „Ugly Fruits“, was sie jedoch später aufgrund eines anderen Unternehmens mit dem gleichen Namen ändern mussten. Heute sehen die drei auch, dass das krumme Gemüse nicht hässlich (ugly), sondern vielmehr individuell ist!
Um die ersten Lieferanten zu finden, sprich Landwirte, die ihnen „krummes“ Obst und Gemüse verkaufen würden, fuhren die Gründer direkt bei den Landwirten auf die Betriebe und leisteten vor Ort Überzeugungsarbeit. Nach leichtem Zögern (Was wissen Studenten schon über Gemüsevermarktung?!) fanden sich bald mehrere Kooperationspartner.

Schwieriger gestaltet sich die Suche nach Abnehmern. Gerade bei Großverbrauchern ist ein Wechsel des Lieferanten eine langwierige Angelegenheit. Vom ersten Kontakt mit der Idee von Querfeld bis zu dem Moment, an dem die erste Bestellung eines Neukunden eingeht, können viele Monate vergehen. Die Prozesse im Handel sind starr. Querfeld versucht dabei auch mit der guten Sache zu überzeugen, denn gerade am Anfang ist es schwer, mit etablierten Großhändlern zu konkurrieren, die jedes Gemüse zu jeder Zeit und an jedem Tag liefern können.
Großen Anklang findet die Idee bei Endverbrauchern, die sich zur Zeit – auch inspiriert durch Medienberichte – intensiv mit dem Thema Lebensmittelverschwendung beschäftigen. Viele erzählen ihren Freunden und Bekannten von Querfeld und teilen die Bilder der grafisch schön dargestellten „Krummen“ in sozialen Medien. Doch trotz des großen Interesses lohnt es sich für Querfeld nicht, das Gemüse in kleinen Mengen an Endkunden zu verkaufen, da die günstigen Preise auch durch große Mengen erzielt werden und eine Lieferung von wenigen Kilogramm Gemüse sich nicht rechnet. An dieser Stelle könnten lokale Gemüse- und Fachhändler profitieren und sich als Unternehmen darstellen, welche sich gegen Lebensmittelverschwendung engagieren, wie sich auch an dem von Foodsharing herausgegebenen Sticker „Bei uns kommen keine Lebensmittel in die Tonne!“*(3) zeigt.

Für Landwirte bietet die Vermarktung über Querfeld und die geplante Online-Plattform eine Möglichkeit, bessere Preise für ihre Produkte zu erzielen, als bei der Verwendung als Tierfutter oder der „Verarbeitung“ in Biogasanlagen. Auf der geplanten Online-Plattform können die Landwirte ihre Preise selbst bestimmen, wodurch sie auch eine Unabhängigkeit vom sonstigen Handel erlangen. Zu guter Letzt ist es natürlich auch schön zu wissen, dass Lebensmittel gegessen werden – und nicht in einer Biogasanlage landen!
Die Vermarktung von krummem Obst und Gemüse über Querfeld ist eine Möglichkeit, die mit vergleichsweise geringem Aufwand verbunden ist.
Wer als Landwirt sein Gemüse direkt vermarktet, der kann sich auch über die Zeit eigene Prozesse aufbauen. Wichtig ist dabei, sich von dem „Mindset“ zu befreien, dass Verbraucher nur schönes, uniformes Gemüse möchten!

Bei Direktvermarktung sollten sich auch eigene Prozesse einfach aufbauen lassen. Viele Landwirte haben für ihre Lieferkisten bereits ein Online-Bestellsystem. Hier können extra Kisten mit „krummem“ Gemüse angeboten oder direkt kleine „Verträge“ mit Einrichtungen oder Großfamilien geschlossen werden (so wie es Thomas Schumacher vom Haettelihof mit Übermengen an Fleisch macht). Die Kunden können über diese Sonderangebote bei Bedarf über einen Newsletter informiert werden und diese extra Kisten dann zur wöchentlichen Lieferung hinzubuchen, so wie es das Start-up „Etepetete“ mit seiner „Gemüseretterbox“ vormacht. Wenn es sich um Gemüse oder Obst handelt, welches eingemacht werden kann, können im Shop direkt zusätzliche Produkte wie Kräuter der Provence (für Tomatensoße), Gelierzucker (für Marmelade), Sahne (für Spinat) oder Gemüsebrühe (für Eintopf & Suppen) angeboten werden.
Auch im Hofladen können extra Kisten mit krummem Gemüse angeboten werden, warum eigentlich nicht? Besonders attraktiv wird das ganze, wenn es mit dem richtigen Design angeboten wird. Da ist die mehrbeinige Karotte nicht mehr der Außenseiter, sondern der Star. Denn wer will so eine Karotte nicht „adoptieren“?
Die Weiterverarbeitung zu Babynahrung, Fertigsuppen, „Gemüse-Superfood-Riegeln“, Nahrungsergänzungsmitteln (viele bestehen eigentlich nur aus Gemüsepulver!), Smoothie-Pulver, Gemüsebrühe (gerade neu auf dem Markt als Brühwürfelersatz, „VeggiePur“, besteht aus getrocknetem Gemüse und Kräutern) oder Gemüsesaft, um nur einige Beispiele zu nennen, ist vergleichsweise kompliziert und aufwendig.

Durch einen Zusammenschluss mit anderen Landwirten oder die Verarbeitung durch Lohndienstleister könnten sich hier jedoch durch die „Veredelung“ attraktive Produkte für Kunden deutschlandweit produzieren lassen. Auch hochwertige Tiernahrung für Kleintiere wie Meerschweinchen oder Kaninchen ist möglich (getrocknete Karotten, …). Auch hier sind Kooperationen denkbar, bei denen der Vertrieb durch Partner geschieht – es gibt ja Landwirte, die Bio-Heu über das Internet verkaufen und deutschlandweit versenden 😉
Der direkte Verkauf an Großverbraucher wie lokale Produzenten, Weiterverarbeiter, Catering-Dienstleister und Restaurants ist immer eine Möglichkeit – es gibt sogar schon einige Restaurants und Caterer, die das Retten und Verarbeiten von „krummen“ Lebensmitteln als Markenzeichen verwenden und sich dadurch positiv abheben. Einen kleinen Überblick dazu gibt es auf der Seite „Fresh Me“ unter dem Titel „Buckliges Gemüse wird zum echten Hype“.
Wenn die Produkte zwar noch genießbar sind, aber sich wirklich nicht mehr verkaufen lassen oder nur noch wenige Tage haltbar bleiben, dann bietet sich eine Kooperation mit einer lokalen Foodsharing-Gruppe an. Diese dient als Zusatz-Option zur Tafel und verteilt überschüssige Lebensmittel an alle jene, die gerne Lebensmittel retten.

Yes! We Can Farm hat sich für euch mit den Machern von Querfeld München über das Unternehmen, die Gründung, die ersten Kontakte mit Landwirten, die Zukunftspläne und einiges mehr unterhalten – jetzt als Yes! We Can Farm Podcast Nummer 004!
Und hier, wie immer, die einzelnen Fragen:
00:00 Vorstellung von Stefan Kukla und Amelie Mertin aus dem Münchner Team
00:42 Vorstellung des Unternehmens Querfeld
01:23 Wie ist das Unternehmen Querfeld entstanden?
01:57 Von einer Idee zu einem Unternehmen
02:43 Welche Herausforderungen ergeben sich dabei?
03:37 Warum bestellen Kunden bei euch?
04:24 Wie habt ihr die ersten Kontakte mit Landwirten geknüpft?
05:02 Wie habt ihr die ersten Kunden gefunden?
06:04 Wie hat sich die Zusammenarbeit mit einem Landwirt aus Spanien ergeben?
06:44 Wie läuft eine Bestellung aus Kundensicht?
07:19 Welche Pläne habt ihr, eine Lieferung außerhalb eurer bisherigen Standorte in Berlin und München auszubauen?
08:43 Welche Kommunikationskanäle nutzt ihr, um neue Kunden zu erreichen?
09:19 Plant ihr, auch überschüssige Waren aus dem Großhandel zu vermarkten?
10:05 Plant ihr eine weitere Verarbeitung des „krummen Gemüses“ zu Suppen oder Ähnlichem?
10:58 Was braucht ihr als Unternehmen von den Yes! We Can Farm Zuhörern?
*(1) Zeitgleich wurden ähnliche Vermarktungsnormen für Zucchini, Möhren, Lauch, Spargel, Aprikosen, Artischocken, Auberginen, Avocados, Bohnen, verschiedene Kohlsorten, Kirschen, Pilze, Knoblauch, ganze Haselnüsse, Walnüsse, Melonen, Zwiebeln, Erbsen, Pflaumen, Sellerie, Spinat und Chicorée abgeschafft. Detaillierte Vorgaben blieben hingegen für die elf am häufigsten verkauften Produkte Äpfel, Birnen, Zitrusfrüchte, Kiwis, Erdbeeren, Pfirsiche, Nektarinen, Weintrauben, Salatköpfe, Paprika und Tomaten bestehen, die 75 Prozent des EU-Handels an Obst und Gemüse ausmachen. Mehr zur Verordnung (EWG) Nr. 1677/88 (Gurkenverordnung) kannst du auf Wikipedia nachlesen.
https://de.wikipedia.org/wiki/Verordnung_(EWG)_Nr._1677/88_(Gurkenverordnung)
*(2) Lebensmittelabfälle: Zahlen, Daten und Fakten / Stadt Wien
https://www.wien.gv.at/umweltschutz/abfall/lebensmittel/fakten.html
*(3) https://foodsharing.de/?page=blog&sub=read&id=219
Yes! We Can Farm wird als Projekt nicht mehr weiter geführt. Sie finden meine Dienstleistungen jetzt unter Grünes Wachstum.
