Der Mann, der Pflanzen liebt – Solidarische Landwirtschaft Fischbach & Deggenhausertal

Die Zeit vergeht schnell, wenn man mit Bernhard Scholl an einem gemütlichen Frühlingstag in seinem Anzuchtgewächshaus in Fischbach am Bodensee sitzt. Um uns herum stehen seine “Zöglinge”, manche einzeln, andere eng gedrängt. Einige erkenne ich, Tomaten, Paprika und Gurkenpflanzen. Andere sind exotischer, wie etwa der “Hörnchenkürbis” (cyclanthera pedata) – ein Rankgewächs, welches viele kleine Früchte hervorbringt, die nach Gurke schmecken, auch die sich noch im Winterschlaf befindenden Yaconwurzeln, ein südamerikanisches Wurzelgemüse, dessen süßlicher Geschmack an Obst erinnert, sehe ich zum ersten mal.

Schnell wird mir klar: dieser Mann ist nicht einfach nur Gemüsegärtner. Bernhard Scholl liebt seinen Beruf und seine Pflanzen. Wir reden über Visionen von Gemüsegärten als Biotopen, von Pflanzen, die gerne klassische Musik hören, von der Ackerbewirtschaftung mit Pferden und ganz viel darüber, wie Bernhard Scholl zu dem geworden ist, der er heute ist. Und wir sprechen darüber, warum er vor Kurzem in Fischbach und im Deggenhausertal seine neue, unkonventionelle Gemüsegärtnerei “Garten der Fülle” gestartet hat.

Dass dieser Mann heute Gemüsegärtner ist, das war nicht von Anfang an so geplant:

Aufgewachsen in Fischbach am Bodensee, studierte er zunächst Maschinenbau. Doch das Studium war ihm zu techniklastig, es fehlt ihm die Verbindung zur Natur. Scholl zog nach Triesdorf in Bayern, um Landwirtschaft zu studieren. Ein Vorpraktikum in einem landwirtschaftlichen Betrieb am Bodensee gefiel ihm gut, auch wegen der dort praktizierten Direktvermarktung und dem damit einhergehenden direkten Kontakt mit den Kunden. Bernhard Scholl hatte, wie viele Junglandwirte nach dem Studium oder der Ausbildung, kein eigenes Land und keinen Hof zur Verfügung. Zunächst brauchte er daher Kapital. Dies verdiente er sich durch Aushilfsjobs, gründete dann, aufgrund der geringeren Kosten und der schnelleren Erfolgsaussichten, eine kleine Gemüsegärtnerei und schloss sich bald dem Bioland-Anbauverband an. Sein Gemüse verkaufte er zunächst auf dem Ansbacher Wochenmarkt, dann kamen weitere Märkte und ein eigener Hofladen hinzu. Bald schon bewirtschaftete er 7 Hektar, davon 2-3 mit Gemüse und über 1.000 Quadratmeter Gewächshausfläche, so wuchs die Gärtnerei über zwanzig Jahre.

Schon bald merkte er, dass ein immerwährendes Wachstum auf Dauer nicht nachhaltig sein kann, daher machte er sich auf die Suche nach Methoden, mit denen auf kleiner Fläche und mit möglichst wenig Aufwand ein hoher Ertrag erzielt werden kann. Zugleich wollte er dabei die Bodenfruchtbarkeit und Biodiversität fördern. Er nutzte seine Gärtnerei, um Experimente wie Permakultur durchzuführen und praktiken wie intensives Mulchen auszuprobieren. Wenn Bernhard Scholl von diesen Methoden erzählt, dann merkt man, dass er sich gerne von Dingen selbst überzeugt, ohne voreilig darüber zu urteilen. Wenn andere vielleicht über ihn und seine Methoden lächeln, dann lässt ihn das kalt, denn er weiß, was für ihn und seine Pflanzen funktioniert und womit er sich wohlfühlt. Und wenn sich Bernhard Scholl etwas in den Kopf gesetzt hat, dann zieht er es durch.

Aus dem Wunsch für eine rückenschonendere, leisere und bodenschonendere Bodenbearbeitung, fing er – ohne Vorkenntnisse – die Feldbearbeitung mit Pferden an. Über zehn Jahre arbeitete er mit Pferden, gründete die “Interessengemeinschaft Zugpferde in Bayern” und gab sein Wissen auch in Kursen weiter. 90 % der anfallenden gärtnerischen und landwirtschaftlichen Arbeiten wurden Mithilfe des Einsatzes von Zugpferden erledigt. Die Neugier trieb Scholl dazu, weitere Methoden auszuprobieren, auch um die Bodenstruktur zu verbessern und so den Pferden die Arbeit leichter zu machen. Er entschied sich, biodynamische Präparate auszuprobieren, wie sie beim Anbauverband DEMETER verwendet werden; mit erstaunlichen Ergebnissen. Musste er bis zu deren Anwendung täglich eimerweise Schnecken in seinen Gewächshäusern sammeln, so reduzierte sich die Anzahl dieser Schädlinge so, dass zwei Jahre nach der ersten Anwendung nur noch so wenige Schnecken zu finden waren, dass er sie nicht mehr aufsammeln musste. Nach diesem erfolgreichen Experiment entschied er, dem DEMETER Verband beizutreten.

Gemüsereihen Solidarische Landwirtschaft
“Garten der Fülle”

Trotz der vielen Herausforderungen und der Abwechslung im Alltag als Gemüsegärtner, suchte Scholl sich nach zwanzig Jahren noch neue Tätigkeitsfelder und fokussierte sich stärker auf den Bereich des Landschaftsgärtners und Landschaftsobstbauers. In dieser Zeit lernte er auch sein heutige Frau Ursula Gérard kennen. Gemeinsam entschieden die beiden, wieder in seine alte Heimat am Bodensee zu ziehen.

Fast dreißig Jahre nach der Gründung seiner ersten Gemüsegärtnerei stehen Bernhard Scholl und Ursula Gérard wieder vor einem Neuanfang, bei dem sie wiedermals einiges anders machen wollen. Am Bodensee möchten sie eine Gärtnerei nach dem Prinzip der Solidarischen Landwirtschaft aufbauen.

Die Solidarische Landwirtschaft, kurz Solawi, auch Vertragslandwirtschaft, Gemeinschaftshof, Gemeinsame Landwirtschaft, Freihof, Versorgungsgemeinschaft, Kooperative Landwirtschaft oder im Englischen CSA (Community Supported Agriculture) genannt, ist ein Konzept welches vieles auf den Kopf stellt. Eine Gruppe von Verbrauchern gibt einem Landwirt eine Abnahmegarantie oder stellt ihn durch eine Organisation an. Der Landwirt bekommt durch die Verbrauchergemeinschaft eine im Voraus vereinbarte Summe, die ihm erlaubt kostendeckend zu wirtschaften. Im Gegenzug erhalten die Verbraucher alle produzierten Lebensmittel. Dabei wird nicht für die einzelnen Produkte bezahlt, sondern für die Dienstleistung des Landwirts oder Gärtners.”

Auf das Modell stieß er über den Film “Farmer John”, der von einem Landwirt handelt, der seine bankrotte Farm über die Hilfe vieler Menschen rettet. Das Modell der Solidarischen Landwirtschaft erzeugt eine starke Verbindung zwischen Erzeuger und Verbrauchern. Für Bernhard Scholl ist auch das eine große Motivation, da er sein vielfältiges Wissen gerne weitergibt und den Menschen dabei helfen möchte, die Nahrungsmittelproduktion wieder näher an deren Lebensorte zu bringen. Ob Kurse zum Pflanzen pikieren, zur Herstellung von Komposttee oder Anleitungen zur Anzucht von Microgreens, er ist nicht nur ein Erzeuger, sondern auch ein Wissensvermittler.

Keine Solidarische Landwirtschaft ist gleich und das Konzept kann verschieden ausgelegt werden. Für Bernhard Scholl ist der größte Unterschied zwischen seiner Solidarischen Landwirtschaft und der Vermarktung über eine Gemüse-Abokiste, dass er nicht die Lebensmittel erzeugt, die den höchsten Preis erzielen, sondern solche, die gesund sind und nachgefragt werden. Das Gemüse holen die Abnehmer an verschiedenen “Verteilerstellen” ab, wodurch auch zwischen den Verbrauchern eine Beziehung und Gemeinschaft entsteht. Hier kann sich darüber ausgetauscht werden, wie welches Gemüse zubereitet werden kann und neues Gemüse kann entdeckt werden. Die Abnehmer verpflichten sich dazu, ein Jahr lang Gemüse zu beziehen und auch in ihrem Urlaub dafür zu sorgen, dass “ihr Gemüseanteil” verbraucht wird. Auch die Verantwortung für Erfolg oder Misserfolg liegt nicht nur bei Bernhard Scholl als Erzeuger. Im Gegenzug dazu können die Abnehmer als Gemeinschaft entscheiden, welches Gemüse angebaut werden soll, auch alte Sorten, mehrjähriges, wildes Gemüse und Microgreens, die anderswo aus Kostengründen wenig Beachtung finden. Für wen es also wichtig ist, nicht nur Lebensmittel zu kaufen, sondern auch zu erfahren, wie diese angebaut werden, wer dahintersteckt und der ein Interesse daran hat, Neues zu entdecken – und natürlich besonders frisches Gemüse genießen möchte – für den ist die Solidarische Landwirtschaft in Fischbach gut geeignet. Neben Gemüse aus dem Freiland und dem Gewächshaus wird es auch Obst und Beeren geben, da die SoLawi einen zweiten Standort im Deggenhausertal hat. Dort, in der ehemaligen Baumschule, in einem etwas kälteren Klima, fühlen sich die Büsche, Sträucher und Bäume wohl.

Auch wenn Bernhard Scholl versucht, auf kleiner Fläche einen hohen Ertrag zu erzielen, so steht dabei die Beziehung zur Pflanze und ihren Bedürfnissen für ihn im Mittelpunkt. Durch Experimente versucht er herauszufinden, was Pflanzen brauchen und mögen, um ihr Potential zu entwickeln. Für Bernhard Scholl geht es dann nicht um hermetisch abgeriegelte Räume oder computergesteuerte Düngung. Er erzählt von klassischer Musik, die die Pflanzen im Gewächshaus anhören und von Aromatherapie. Methoden, die von vielen Gärtnern als Spinnertum und Esoterik abgetan werden. Doch Pflanzen sind viel komplexer, als die meisten Menschen vermuten und auch die Wissenschaft bestätigt die Wirkung von Schall, Berührung und Gasen auf das Pflanzenwachstum. Die Journalistin Elke Bodderas fasste diese wissenschaftlichen Erkenntnisse im Jahr 2010 mit folgenden Sätzen für “Die Welt” zusammen:

Ebenfalls aus diesem Jahr stammt eine Studie, die so esoterisch klang, dass die Berichterstattung in den Redaktionen von den Wissenschaftsseiten ins Vermischte delegiert wurde. In einem toskanischen Weinberg hatten Forscher den Reben Musik vorgespielt: Mozart, Haydn, Vivaldi, Maler – die Lautsprecher liefen 24 Stunden am Tag, zehn Jahre lang.[…] Natürlich haben Pflanzen keine Ohren, schreibt der Wissenschaftsjournalist und Buchautor Joseph Scheppach in seinem neuen Buch „Das geheime Bewusstsein der Pflanzen“. Aber sie reagieren offenbar auf Schall. „Die beschallten Weinblätter sind größer und die Trauben aromatischer als die unbeschallten“, sagt Studienleiter Stefano Mancuso. „Jede einzelne Pflanzenzelle hat eine Membran, die empfindlicher ist als das menschliche Hörorgan“, schreibt Scheppach in seinem Buch.”

Permakultur Gewächshaus im Deggenhausertal
Kohl, Beinwell, Bohnen, Mangold, Auberginen, Hörnchenkürbis, Melonen, Zucchini – im Gewächshaus tummelt sich alles wärmeliebende.

Ein gesundes Leben mit gesunden Lebensmitteln in einem gesunden Umfeld, das ist nicht nur für Scholl selbst ein Ziel. Seit Jahren beschäftigt er sich damit, wie man in ständig wachsenden Städten und trotz der Versiegelung von Flächen effektiv gesunde Nahrungsmittel anbauen kann. Nicht nur, dass die Lebensmittel aufgrund kurzer Transportwege, umweltschonender produziert werden können, sie sind auch frischer und nährstoffreicher. In den sogenannten “Urban Farms”, die weltweit immer mehr werden, zeigt sich auch, dass sich dabei Gemeinschaften bilden, Fähigkeiten weitergegeben werden und Verbraucher wieder in Kontakt kommen mit denen, die ihre Lebensmittel anbauen – oder einfach mal mit anpacken. In den USA wurde der Begriff “Food Desert” (zu Deutsch: Lebensmittelwüste) geschaffen, denn in manchen Städten gibt es kaum mehr frisches Obst und Gemüse. Kinder, die in einem solchen Umfeld aufwachsen, haben keinen Bezug mehr zur Lebensmittelproduktion.

Die gemeinschaftlich betriebene Farm “Growing Power” in Milwaukee liegt in einer dieser “Food Deserts”. Der Gründer Will Allen geht davon aus, dass 99 % der Lebensmittel in seiner Stadt von weit her gefahren werden. In seiner Farm werden Pflanzen in Gewächshäusern auf bis zu sieben Ebenen angebaut und auch Fische, Bienen, Hühner und Ziegen werden gehalten. Es ist erstaunlich, auf wie wenig Platz effektiv produziert werden kann. Bernhard Scholl erzählt mir von Curtis Stone, einem “Urban Farmer” der “Vorgärten” pachtet, auf diesen sein Feingemüse anbaut und damit ein gutes Einkommen erzielt. In seinem Buch “The Urban Farmer” sowie in seinen YouTube Videos erzählt der Amerikaner von seinen bestverkauften Produkten und gibt Anleitungen, wie andere seine Methoden verwenden können um ihre eigene “City Farm” zu eröffnen.

In engen Reihen wächst das Gemüse
Große Ernte auf kleiner Fläche

Bernhard Scholl träumt von von biologisch diversen Biotopen, die zugleich als Lebensraum und zur Nahrungsmittelproduktion dienen, ohne dabei Ernteverluste zu erleiden. Doch der Wille zur Veränderung erfordert viel Mühe, denn Verwaltung und Politik haben zwar oft gute Absichten, bewirken jedoch oft das Gegenteil. So würde Scholl z.B. gerne brachliegende Flächen zum Anbau von Gemüse oder zur Pflanzung von Obststräuchern verwenden. Doch aufgrund des “Grünlandumbruchverbots”, eingeführt zum Schutz der biologisch diverseren Weiden und Wiesen, darf er eine solche Fläche nur mit Genehmigung zu Ackerland umbrechen. Eine Genehmigung ist Aufgrund des bürokratischen Aufwands schwierig zu erlangen ist, auch wenn der Boden nachhaltig bewirtschaftet wird. Ein anderes Beispiel für kontroverse Bestimmungen der Politik: “Agroforstwirtschaft ist eine Form der Landnutzung, bei der mehrjährige Holzpflanzen (Bäume, Sträucher, …) willentlich auf derselben Fläche angepflanzt werden, auf der auch landwirtschaftliche Nutzpflanzen und / oder Tiere gehalten werden (Definition nach J. Vogt 1999)”. Dies reduziert nicht nur das Risiko des Landwirtes, sondern kann auch nachhaltig zur Verbesserung von Boden und Biodiversität beitragen. Doch nach den Förderbedingungen der EU und der Bundesländer ist eine solche Mischung nur in wenigen Ausnahmen (wie etwa Streuobstwiesen) vorgesehen und die verantwortlichen Stellen tun sich schwer mit einer Zuordnung. Ist es nun Forstwirtschaft, Schafweide oder eine Beerenobstplantage? Dies führt dazu, dass wenige Landwirte einen solchen Schritt Richtung mehr Nachhaltigkeit wagen, da ihnen die Fördermittel entzogen werden könnten.

Bernhard Scholl und Ursula Gérard versuchen dennoch, eine kleine Insel der biologischen Vielfalt am Bodensee zu schaffen und eine gemeinschaftlich getragene Gärtnerei aufzubauen, die ein gesundes Umfeld für Gärtner, Verbraucher, Pflanzen und Umwelt bietet. Scholl wird weiterhin seine Erfahrungen und sein Wissen über Pflanzen, Anbaumethoden, Urban Farming und gesunde Ernährung mit möglichst vielen Interessierten Menschen teilen – mit jeder Ernte ein bisschen mehr!

Calendula und Borretsch als Zwischenpflanzung
Bunte Blumen scheinen zwischen den Reihen hindurch. Das erfreut Insekten wie Gärtner-Gemüter.

Yes! We Can Farm wird als Projekt nicht mehr weiter geführt. Sie finden meine Dienstleistungen jetzt unter Grünes Wachstum.

2 Gedanken zu „Der Mann, der Pflanzen liebt – Solidarische Landwirtschaft Fischbach & Deggenhausertal

  • 1. September 2017 um 16:42
    Permalink

    Lieber Malchus,
    deine Post und Bericht sind wieder mal eine Freude. Danke dafür! Mich interessiert das Thema sehr und ich würde den Gedanken und Projekte dieser Art gerne unterstützen. Problem: Wir passen schlecht in den “Gemüsekisten Ansatz”. Mir wären als Alternative Gutscheine lieber mit denen ich in einem Hofladen o.ä. meine bevorzugten Produkte nach Bedarf abholen könnte: Kartoffeln, Äpfel, Beeren, Blumen, etc. Wenn so eine Idee hier in der Nähe entsteht: Ich wäre dabei! 🙂
    Herzlichst,
    Silke

  • 2. September 2017 um 14:46
    Permalink

    Hallo Herr Scholl und Frau Gérard,
    Es tut richtig gut Ihren Bericht zu lesen. Ich bin sehr interessiert an der Art Ihres Anbaus da ich unser Nachbargrundstück gepachtet habe und überlege was ich anpflanze.
    Ich würde Ihre Idee sehr gerne unterstützen bin mir aber nicht sicher ob es Gruppen in der Nähe von herrenberg gibt.
    Nette Grüße. Anja Romet

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